Donnerstag, 23. September:
Bei mir geht heute gar nichts mehr!
Wir haben gestern eine Bergtour gemacht, die alles Bisherige geschlagen hat!
Ich habe einen wahnsinnigen Muskelkater.
Von allen möglichen Entspannungsübungen und Gymnastik erhoffe ich mir Linderung.
Annegret jault auch bei jeder Treppenstufe.
Erst am Nachmittag kriege ich wieder ein bisschen Spannkraft, als ich eine Katze in der Nähe unseres Hauses die Straße kreuzen sehe,
und danach, als wir uns noch einmal die „Hügel“ ansehen, die wir gestern erklommen haben.
Beilenberg, unser so geliebtes Kuhdorf, liegt auf 826 Meter Höhe. Unser Ziel lag einen Kilometer höher!
Davon will ich wenig erzählen, aber viele Bilder zeigen.
Mittwoch, 22. September:
Schon am Dienstagabend fängt Annegret mit der Vorbereitung an. Immer wieder nimmt sie Wanderkarte und -buch und sagt dann: „Hannes, das wird morgen bei dem herrlichen Wetter eine Königsetappe. Klar ist, dass ich meinen großen Rucksack nehme.“ Sie hat ja auch nur 3 dabei. Und wie ich sie kenne, wird dieser voll und schwer. „Sonst merk´ ich ja gar nicht, dass ich unterwegs bin“, sagt sie. „Und du, Hannes, nimmst auch deinen Rucksack mit. Ich pack dir Futter und Wasser ein, denn wir wandern ganz lange über den First. Da fließt kein Wasser.“ Damit bin ich einverstanden.
Nur das Problem des Schuhwerks bleibt ungelöst. Also nicht für mich. Klar.
„Wenn meine Füße nicht nur diese Sandalen so lieben würden! 20 Kilometer ohne Socken kein Problem. Wir haben allerdings nur 10 Kilometer, aber Berge! Jeder Bergschuhverkäufer würde einen Anfall kriegen!“ Dann betrachtet sie die Sohlen.
„Auch nicht mehr das, was sie mal waren. Da ich aber alleine entscheide, nehme ich die Sandalen. Und beide Stöcke!“
Wir starten nicht allzu früh, damit es nicht noch zu kalt ist, denn der erste Teil geht durch Wald. Nun muss ich mich erst mal wieder an den Rucksack gewöhnen.
Hin und wieder schüttele ich mich am Anfang, aber dann ist alles klar.
„Letzte Tankstelle vor den Gipfeln“, sagt Annegret.
Ich tanke.
Nach einer halben Stunde die Wegweiser: Sonnenköpfe noch zweieinhalb Stunden.
„Da liegen wir gut in der Zeit“, meint Annegret.
Dann kommt das, was ja bei keiner Wanderung fehlen darf: Rindviehcher!
Es wird unglaublich steil und Annegret ist schon nass geschwitzt. Bei einem sonnigen Abschnitt will sie sich die Sonnenbrille aufsetzen, die bislang auf dem Kopf steckte.
„O, sieh dir das an, meine Haare haben die ganze Brille bedampft!“
Dann kommt endlich eine kleine Schneise mit Ausblick.
Wow!
Sonthofen ganz weit dahinten und unten!
Und gegenüber: Unsere Wanderung von vorgestern mit Fischen unter uns, dahinter Höllenbahnberg und Riedbergerhorn.
Es wird noch steiler!
„Rechts musst du gucken!“ sagt Annegret. „Da kann man schon ein bisschen den Schnippenkopf sehen. Der ist aber noch weit.“
Dann fangen die Zickzack-Kehren an mit folgendem Problem:
Befestigt an Annegrets Rucksackgürtel sind wieder meine Leine und die Kameratasche.
Da ich fast immer die Vorhut bilde, bin ich bei den Zickzack-Kehren meistens schon auf Zack, während Annegret noch auf Zick ist, und damit ziehe ich in die falsche Richtung. „Langsam!“, sagt sie dann immer, „ich muss erst um die Kurve!“ Ich warte dann meistens oberhalb, denn mit den paar Metern Vorsprung bin ich schon ´ne Etage höher.
Mir hängt die Zunge inzwischen auch ganz schön.
Der Grünten kommt uns richtig klein vor.
Das letzte Stück vor dem ersten Gipfel wird noch viel steiler als alles bis jetzt.
Annegret mit vollem Stockeinsatz und höchster Konzentration.
Manchmal guckt sie zu mir hoch und wundert sich, dass ich locker schon meterweise vorgesprungen bin, und das mit Rucksack!
Dann endlich nach drei Stunden der erste Gipfel: Sonnenkopf!
Von hier aus kann man das Retterschwangertal und die gegenüberliegenden Berge sehen.
Ich kann mich überhaupt nicht losreißen.
„Hannes, weiter!“
Jetzt kommt erst nochmal ein Abstieg von etwa 50 Höhenmetern, bevor es dann zum Heidelbeerkopf geht. Den Pfad kann man wunderbar erkennen.
Und rechts daneben dahinter sieht man schon den Schnippenkopf.
Ich bin so begeistert!
Die Ortschaften unter uns, die Hörner- und Nagelfluhkette werden immer kleiner.
Der Anstieg zum Heidelbeerkopf wird noch steiler! Kraxel, kraxel, kraxel. Annegret keucht und dampft.
Zwischendurch müssen wir mal anhalten und zurücksehen, woher wir gekommen sind.
Meine Güte!
Ich bin hin und weg!
Aber wir haben ja noch den Schnippenkopf vor uns.
Wieder geht´s steil bergab. Ihr könnt sicher den schmalen Pfad an den Fichten entlang erkennen.
Natürlich sind wir nicht die einzigen hier oben. Aber es lässt sich aushalten. Es gibt ja weit und breit keine Straße und auch keine Höllenbahn hierher.
Beim Zurückschauen sind bereits die Nächsten auf dem Heidelbeerkopf.
Ich kann mich überhaupt nicht einkriegen vor lauter Herrlichkeit!
Annegret beschließt, dass wir vor dem Schlussanstieg zum Schnippenkopf eine erste richtige Rast einlegen. Die Truppe vom Heidelbeerkopf kann uns inzwischen überholen.
Wir lassen uns nieder.
Ich kann es immer noch nicht glauben, was ich alles sehe und bin der Genießer in Person!
Annegret hatte morgens beim Bäcker noch 3 Hörnchen gekauft, zum halben Preis vom Vortag, die sie mir anbietet. Aber obwohl mir das Wasser im Maul zusammenläuft, muss ich mich erst satt sehen.
Irgendwann müssen wir dann doch weiter. Inzwischen sind seit unserem Aufbruch 4 Stunden vergangen.
Der Hammer ist dann der Schnippenkopfgipfel!
Von hier aus kann man jetzt alle Berge sehen!
Annegret stört mich mit einer blöden Frage. „Sag mal, Hannes, warum gibt es eigentlich hier keine Japaner, wo es doch so viel zu fotografieren gibt!?“
Weiß ich nicht. Ich weiß nichtmals, was Japaner sind.
Mich interessiert nur diese traumhafte Bergwelt.
So langsam müssen wir an den Abstieg denken. Schaut euch diese herrlichen Bilder an!
Wir steigen mit großem Genuss über die Graspolster und ein steiles Waldstück ab.
Auf ungefähr 1400 Meter kommen wir zum Rubihaus. Das ist eine Alpe für Hirten, die aber nicht für Besucher bewirtschaftet wird.
„Ach so“, sagt Annegret, „das weißt du ja gar nicht: Also, die ganze Gipfelregion heute ist das Revier der Rinder gewesen, die zur Viehscheid nach Schöllang runtergekommen sind. Hier oben haben die ihren Sommer verbracht!“
An der Unterseite der Hütte ist eine ganz urige, alte Bank.
Genau richtig für unsere nächste Pause.
Annegret nimmt mir den Rucksack ab.
„O“, sagt sie, „dadrunter ist dein Fell ganz geplättet.“
Dann gibt´s Futter und Gesöff.
Jetzt steht mir doch glatt der Sinn nach einem Nickerchen im Schatten. Ich weiß auch schon, wo.
Unter der Bank ist es gut.
Ich muss nur noch ein bisschen buddeln.
Hinter mir höre ich Annegret: „Die Mutter hängt mal eben de Wäsche auf!“
So, hier kann ich´s aushalten!
Bleiben können wir leider nicht, denn wir brauchen bestimmt noch 2 Stunden, meint Annegret.
Weiter geht´s, auch wenn wir schon müde sind.
Endlich sehen wir Reichenbach unter uns.
„Aber da steht nicht unser Auto, Hannes. Wir müssen noch bis Schöllang.“
O je.
Bis ins Auto schaffe ich´s noch irgendwie,
aber nicht mehr bis in unsere Wohnung.
Ich bleibe einfach im Flur liegen.
So, jetzt wisst ihr, wovon ich so knatschkaputt bin. Das war eine 7-Stunden-Tour, die längste meines Lebens!
„Nur, was uns müde macht, hält uns jung!“, sagt Annegret.